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Longin, Philologe und Philosoph. Eine Interpretation der erhaltenen Zeugnisse

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Longin, Philologe und Philosoph. Eine Interpretation der erhaltenen Zeugnisse pdf epub mobi 著者簡介

Irmgard Männlein-Robert hat im Oktober 2006 die W3-Professur für Griechische Philologie als Nachfolgerin von Richard Kannicht übernommen. Männlein-Robert wurde 1970 in Ansbach (Bayern) geboren und studierte Griechisch, Latein und Deutsch für das Lehramt an der Universität Würzburg. Dort promovierte sie 2000 über "Longin, Philologe und Philosoph. Eine Interpretation der erhaltenen Zeugnisse" und erhielt 2001 für diese Dissertation den Preis der Unterfränkischen Gedenkjahrstiftung für Wissenschaft. Schon seit 1994 arbeitete Männlein-Robert in der Redaktion des Augustinus-Lexikons in Würzburg und nahm Lehraufträge wahr, bevor sie 2000 wissenschaftliche Assistentin wurde. Forschungsaufenthalte absolvierte sie sowohl in der Fondation Hardt in Genf als auch an der University of Cincinnati, Ohio. Zum Thema "Stimme, Schrift und Bild: Zum Verhältnis der Künste in der hellenistischen Dichtung" habilitierte sie sich 2005. Derzeit erforscht die Gräzistin neben antiken Selbstepitaphien, die Kontinuität und Transformation griechisch-römischer Kultur im jüdisch-christlichen Bereich am Beispiel des so genannten Mittagsdämons. Außerdem beschäftigt sie sich mit dem Platoniker Longinos und seinem Verhältnis zur Schrift "Über das Erhabene" und arbeitet am Band 5 des philosophischen Standardwerks "Ueberweg-Praechter" mit. Irmgard Männlein-Robert vertritt ein integratives Konzept von klassischer Philologie und strebt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit altertumswissenschaftlichen aber auch neuphilologischen Disziplinen sowie Theologie und Philosophie an.


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Ein bedeutender Vertreter des kaiserzeitlichen Platonismus war Kassios Longinos, Schüler des Ammonios Sakkas, Lehrer des Porphyrios und vielseitiger Autor und Literaturkritiker, dem auch (und teilweise wieder) die Schrift Peri u(/youj zugeschrieben wurde. Der einleitend gebotene Überblick über die Forschungsgeschichte zu Longin zeigt, gerade auch in Hinblick auf die jüngste Darstellung von Brisson und Patillon (ANRW II 36, 7 und II 34,4), wie wichtig es ist, den Versuch zu unternehmen, den Philosophen und Philologen Longin als Einheit zu sehen. Dieses auch im Untertitel der Arbeit ausgedrückte Anliegen bestimmt die hier im Druck vorgelegte, leicht gekürzte Würzburger Dissertation. Mit dem Ziel, ein „integratives Longinbild" (23) zu gewinnen, interpretiert die Verf. die ca. 80 Fragmente unter Ausschluß der rein rhetorischen. Damit stellt sich aber die Frage, ob demnach der Untertitel „Eine Interpretation der erhaltenen Zeugnisse" in dieser Entschiedenheit gerechtfertigt ist. Nach Drucklegung der Arbeit erschien die neue Sammlung der Longinfragmente von M. Patillon und Luc Brisson: Longin. Fragments. Art Rhétorique. Rufus. Art Rhétorique (Paris: Les Belles Lettres 2001), die diese Anforderung erfüllt.

Die Arbeit ist in zwei Teile gegliedert: Im ersten wird ein Longinportrait entworfen, der umfangreichere zweite bietet Einzelinterpretationen der Fragmente. Auf einen Überblick über Leben und Wirken Longins (26-28), dessen Tod im Kontext der Stilisierung des „sterbenden Philosophen" zu sehen ist, wird die Longin-Rezeption bei den Neuplatonikern besprochen. Durch deren kritische Auseinandersetzung mit Positionen Longins werden wesentliche Aspekte des Longinbildes sichtbar. So geht die Bewertung Longins als eines Philologen, aber nicht als eines Philosophen, auf die Plotinvita des Porphyrios zurück. „Nicht zuletzt auf diese Fixierung dürfte der Umstand zurückzuführen sein, daß so wenige Zeugnisse philosophischen Inhalts von Longin überliefert worden sind" (30). Ähnlich verfährt Proklos, wenn er Longin ausschließlich „als Kenner von Grammatik, Rhetorik und Stilistik" gelten lassen will (41). Auf der Basis der im zweiten Teil ausführlich interpretierten Zeugnisse entwirft dann die Verf. ein Longinbild mit den Aspekten „Philologe - Kritiker - Philosoph" (46-87). Philologos ist dabei in der alexandrinischen Tradition im Gegensatz zu Philosophos verstanden, Kritikos in der pergamenischen Sicht als der höherstehende Literaturkritiker, wobei jedoch seine Methoden der Homerphilologie, Lexikographie und Etymologie direkt auf die Alexandriner zurückzuführen sind (52ff.). Besonders würdigt die Verf. Longins kunstvolle Stilisierung (59ff.).

Seinem Selbstverständnis nach war Longin platonischer Philosoph (61ff.), wobei für ihn „zwischen Philosophie und Sprachbetrachtung ein naturgemäßer Zusammenhang besteht" (73). In diesem Kontext wird die stilistische Interpretation von Platons Timaios und anderen Dialogen durch Longin besprochen (77-87). Abgeschlossen wird der Abschnitt mit Hinweisen auf „Longins Verhältnis zu Vorgängern und Zeitgenossen" (88-96), wodurch seine Position innerhalt des Platonismus bestimmt wird.

Dem Aufbau des ersten Teils folgen die Einzelinterpretationen des zweiten. Dabei sind die einzelnen Zeugnisse sehr sorgfältig in ihren Kontext eingebettet, die Interpretation bedient sich vielfach der Paraphrase unter wiederholter Zitierung des Originaltextes. Dabei stellt sich die Frage, ob nicht die konsequente Beigabe einer Übersetzung erstens leserfreundlicher und zweitens für die Kommentierung entlastender gewesen wäre. Die Anordnung der Fragmente (in der Reihenfolge der Einleitung) und ihrer Interpretationen führt fast zwangsläufig zu zahlreichen Wiederholungen, was aber der Benützer, der nur punktuell nachschlägt, wohl nicht als störend empfinden wird.

Aus den in der Suda, aber auch daneben überlieferten Nachrichten zu Leben und Werk interessiert v.a. die Diskussion der Werktitel (100-106), wobei die Verteidigung der Konjektur Peri tou= kata fu/sin bi/ou durchaus überzeugt. Wiederholt ist eine gewisse Abundanz in der Darstellung zu beobachten, so etwa in der ausführlichen Erörterung der Nachrichten über Longins Tod (114-138), als deren Quelle Eunapios vermutet wird.

Die nächste Fragmentgruppe betrifft die Rolle Longins bei Porphyrios und dem Plotinkreis (139-250). Dabei stehen die Zeugnisse aus der Vita Plotini im Vordergrund. Aus ihnen wird der grundsätzliche, von Porphyrios stilisierte Unterschied zwischen dem Philosophieren eines Plotin und dem des Longinus in Methode und Konzeption deutlich. Ausführlich wird das Proömium von Longins Schrift Peri te/louj besprochen und sowohl für die Biographie und die Werke des Longin wie auch für die zeitgenössische Philosophiegeschichte erschöpfend und detailgenau ausgewertet. Dabei ist das Proömium nicht nur, wie bisher, als philosophiehistorische Quelle verstanden, sondern als eigenständiger Text, der „nach literarkritischen Kategorien strukturiert und literarisch stilisiert ist" (231). Abgeschlossen wird der Abschnitt mit der Diskussion der Fragmente über Longin als Lehrer des Porphyrios (237-250).

Unter der umfassenden Überschrift „Alexandrinische Philologie und Literaturkritik" wird Longin als Philologe gewürdigt (251-397). Grundlage ist zunächst Porphyrios' Schilderung eines Symposions, zu dem Longin aus Anlaß von Platons Geburtstag eingeladen hatte (257) und die in der Praeparatio evangelica des Eusebios überliefert ist. Die Sitte der Geburtstagsfeier hielt sich in der Antike bis Proklos. Der Text ist von Prophyrios stilisiert als ein Gastmahl der Sieben Weisen; Hauptthema des Gesprächs ist das Plagiat in Geschichtsschreibung, Dichtung und Philosophie. Ergänzt wird das Bild des Philologen und Kritikers Longin, das aus dem Symposion zu gewinnen ist, durch eine Reihe von Fragmenten, die seine Beschäftigung mit Homer in der Tradition des Aristarch und mit Demosthenes erkennen lassen (292-320). Daran schließen sich Fragmente, welche die ausgedehnte theoretische Schriftstellerei des Longin bezeugen (321-397).

Ein eigener Abschnitt ist Longins Auslegung Platonischer Dialoge gewidmet (398-535). So beschäftigte er sich mit dem Phaidros, dem Phaidon und vor allem mit dem Timaios. Die diesem Dialog zuzurechnenden Fragmente aus dem Timaios-Kommentar des Proklos kreisen besonders um das viel diskutierten Thema des Zeitpunkts der Beseelung des Menschen, um den Stil Platons, um seine Beurteilung Homers und seine Dichterkritik, um die Funktion der Atlantis-Erzählung und um die Beurteilung des Stiles Platons.

War bis dahin vor allem durch die Zeugnisse des Proklos durchwegs die Leistung des Philologen Longin deutlich geworden, so stellt sich für die beiden letzten Kapitel die Frage, ob durch die Arbeit der Verf. Longinos, den die Platoniker allein als Philologen sahen, wieder zu dem wurde, was er wohl selbst sein wollte: Philologe und Philosoph (582). Unter der Überschrift „Sprache und Denken" wird zunächst die Ideenlehre Longins besprochen, wie sie aus Proklos gewonnen werden kann. Dabei steht jedoch Longin offensichtlich in Traditionen, die die Verf. minutiös aufzeichnet, und daraus ergibt sich ein Bild des „Philosophen" Longin, das ihn nicht unbedingt als selbständigen Denker erscheinen läßt. Ein besonders umfangreiches Longin-Fragment sind die Prolegomena zu seinem Kommentar des Encheiridion „Über die Metra" des Hephaistion. Deutlicher dürfte Longins philosophische Leistung faßbar sein, wenn wir eine genauere Vorstellung von seiner verlorenen Schrift Peri a)rxw=n hätten. Dennoch wird „sein Anliegen einer Rückführung auf allgemeine, höherstehende Prinzipien" auch im Hephaistionkommentar greifbar und dient ihm zur Erklärung des Phänomens „Metrum" (555).

Der Politeia-Kommentar des Proklos gibt schließlich die Möglichkeit, die Seelenlehre des Longin genauer zu fassen, die in einer eher traditionell platonischen Argumentation gegen stoische Positionen sichtbar wird. Andere Zeugnisse bei Stobaios (620ff.) zur Seelenlehre Longins zeigen ebenfalls keine neuen Argumente des Platonikers.

So stellt sich für den Leser am Ende die Frage, ob Longin doch nicht eher, wie es die spätantike und byzantinische Rezeption verstand, als Philologe wirkte und seine philosophischen Positionen (einschließlich seiner Lehre von den Ideen nach dem Nus) so auch bei anderen zu finden sind und er daher eine nur annähernd gleiche Originalität wie die großen Platoniker beanspruchen kann. Diese Einschätzung wird noch dadurch verstärkt, daß, wie schon bemerkt, seine erhaltene rhetorische Schrift in der Untersuchung weitgehend ausgeklammert bleibt und er andererseits für die Byzantiner v.a. wegen der 21 Bücher seiner Filo/logoi o(mili/ai von Interesse war. Da die Fragmente aus dieser Schrift im dritten Abschnitt auf mehrere Kapitel verteilt sind, ist es trotzt der Zusammenfassung S. 48f. nicht leicht, einen Gesamteindruck von dem umfangreichen Werk zu gewinnen, und außerdem stellt sich die Frage, ob die wenigen zitierten Fragmente das Urteil, es sei ein „vielzitiertes, berühmtes Werk" gewesen (18), bestätigen.

Zuletzt noch eine Bemerkung zum Technischen: Etwas mühsam gestaltet sich die Verweissuche mit Angabe der Hauptabschnitte und Kapitel, die aber so nicht in den Kopfzeilen erscheinen. Daher muß man zur Verifizierung jeweils auf das Inhaltsverzeichnis zurückgreifen. Der Wortindex ist im Gegensatz zum Stellen- und Personen-Index sehr selektiv. Das ist insofern besonders bedauerlich, als sich im Kontext der Interpretation zahlreiche wertvolle Beobachtungen zu einzelnen stilistischen und philosophischen Begriffen finden, auf die man gerne rasch zurückgreifen würde.

Abschließend wird man festhalten können, daß Frau Männlein-Robert sicher den seit langem gewichtigsten deutschsprachigen Beitrag zu Longin vorgelegt hat. Die Fülle der Informationen und Beobachtungen zum Mittelplatonismus, seinen Vertretern, ihren philosophischen Positionen und ihrem Sprachgebrauch ist beeindruckend, die Arbeitsleistung ist stupend (allein das Literaturverzeichnis umfaßt 60 Seiten!). Dennoch wird man, um sich des ganzen Longin zu bemächtigen, nicht an der Ausgabe von Patillon-Brisson vorbeigehen können. Und für die unendliche Diskussion um die Verfasserschaft von Per?i u(//youj kann eine neue Runde eingeläutet werden.

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